Vor Kurzem habe ich nach vielen, vielen Jahren wieder den Klassiker „Clueless“ gesehen. Auch um meinem popkulturellem Bildungsauftrag meinem Partner gegenüber nachzukommen, an dem dieses Meisterwerk vorbei gegangen ist.
Wer den Film nicht kennt, sollte ihn sehen. Die Zusammenfassung bei den gängigen Online-Nachschlagewerken ist unterkühlt und kann den Zauber kaum wiedergeben. Auch um den Ursprung unzähliger, sich auf den Film beziehender Referenzen in der Pop-Kultur zu kennen und die junge Starbesetzung zu Karrierebeginn zu sehen, kann man sich den Film mal gönnen.
Vieles sieht man nach etwas Zeit und der Zunahme an persönlicher Weisheit (hoffentlich) anders. Ich war überrascht, wie progressiv dieser Film von 1995 auf mich wirkte. Und auch ein wenig, wie lange Probleme so bekannt sind, dass sie in „stumpfen Teeniekomödien“ thematisiert werden – und man sich fast 30 Jahre später (fast) auf der gleichen Stufe in der Debatte befindet.
Die Protagonistin hat schlechte Noten und entscheidet sich, neben Zusatzarbeiten, zwei Lehrkräfte zu verkuppeln. Durch die verbesserte Laune der Zwei soll auch die Bewertung positiver ausfallen. Was für eine menschenfreundliche Idee! Statt, wie oft cineastisch verarbeitet läuft sie nicht Amok, bedroht Lehrkräfte, versinkt in Hoffnungslosigkeit – sie erkennt, dass Menschen, Autoritäten, manchmal einen Mangel erfahren, der sie negativ beeinflusst, ihren Umgang mit Menschen, das Erfüllen von Aufgaben. Und dass Wertschätzung durch andere Menschen, die Liebe einer Beziehung, das Gefühl begehrt und gemocht zu werden auch es auch für „uncoole“ Erwachsene wichtig ist, das mehr hinter schlecht gelaunten Menschen steckt und man Abhilfe schaffen kann. Das ist eine ausgesprochen positive, liebevolle Botschaft.
Der „uncoole“ große Stiefbruder ist am Ende der Love Interest. So sehr die Rolle so angelegt ist, dass der Zuschauer ihn sofort als intellektuellen, sympathischen Charakter einordnen soll (auch durch die Besetzung von Paul Rudd) – so klar macht die Protagonistin wie uncool und weit entfernt er von ihr ist. Und trotzdem finden sie sich – er sie, weil warmherzig, gutaussehend und ehrgeizig, fleißig – und sie ihn, weil er souverän, intelligent und stets ritterlich ihr gegenüber ist. Natürlich sind auch hier Klischees verarbeitet und alles nicht unproblematisch – doch das ist einen eigenen Text wert. Und im Großen und Ganzen wirkt diese Love Story ganz okay – kein hässliches Entlein, dass sich verwandelt, kein völliges Verraten der eigenen Identität sondern Annäherung durch Kennenlernen, Vorurteile abbauen, annähern – hier gibt es klare Überlegenheit gegenüber anderen, ähnlichen Filmschöpfungen.
Ein hässliches Entlein gibt es allerdings im Film – mit dem gut gemeinten „Make-Over“ verbessert sich der soziale Status des Mädchens, verschlechtert sich aber gleichzeitig die Beziehung, der Charakter wird negativ gezeichnet. Schließlich wird alles wieder gut, das Entlein ist wieder authentisch, aber selbstischerer und kommt mit ihrem Love Interest des Beginns zusammen, der als perfekter Partner für sie geschrieben wurde. Nicht neu, aber die Moral der Geschichte kann auch positiv bewertet werden.
Weitere positiv hervorzuhebende Punkte:
- Als sich Cher für Menschen einer Naturkatastrophe engagieren will, spendet sie auch ihre Skier. Der Vater kommentiert dies, sie antwortet sinngemäß „aber Daddy, diese Menschen haben ALLES verloren“. Ja. Das haben sie. Und auch wenn Skier sicher nicht das erste sind, was man in dieser Notsituation braucht, finde ich es sinnvoll, dass man Dinge, die man nicht mehr braucht, an Menschen weitergibt, die sie brauchen können. Und die ihr Geld erstmal für andere Dinge ausgeben müssen, um sich wieder ein Zuhause aufzubauen.
- Sie erkennt die harte Arbeit ihres Vaters, ihres Stiefbruders usw. an und unterstützt sie soweit möglich, freudig und eifrig.
- Sie schämt sich für Fehler und versucht, sie wieder gut zu machen
- Homosexualität kommt etwas verklausuliert und extrem Klischeebeladen vor, aber nicht immerhin kommts vor und wird nicht allzu negativ dargestellt (die lesbische, grobe Sportlehrerin)
Mit feministisch linksversifftem Blick auf den Film gibt’s (neben der mangelnden Konsumkritik, die ich dramaturgisch / künstlerisch durchgehen lasse) zwei problematische Bilder: Die Beziehung zwischen der besten Freundin der Protagonistin, Dionne, und ihrem Freund Murray und der Heimfahrts-Szene nach einer Party.
– Murray ist ein klassischer „Frauenheld“, flirtet viel, geht fremd. Als Dionne ihm mitteilt, dass sie nicht mehr „Weib“ von ihm genannt werden möchte, weil sie das abwertend findet, erklärt (mans-plained) er, dass das was Kulturelles sei und er damit weiter macht. In einer anderen Szene erzählt sie ihren Freundinnen, dass er „alles bekommt“ aber sie „technisch noch Jungfrau“ ist, weil ihr das wichtig sei. Ansonsten wird Dionne als meinungsstarke, selbstbewusste junge Frau dargestellt. Für ihn gibt es keine erkennbaren Einschränkungen/Umstellungen, die er für die Beziehung eingeht. Sein Verhalten wird nur von Dionne thematisiert.
Wow. Meine Kurzinterpretation: Selbst das toughste Mädchen lässt sich von ihrem Partner verbale Beleidigung gefallen, überschreitet persönliche Grenzen und baut Ausreden und Rechtfertigungen für Ihren Partner zurecht, versucht um fast jeden Preis ihren Partner sexuell zu befriedigen, damit er bei ihr bleibt. Und sie ist damit allein – niemand unterstützt sie, äußert ebenfalls Unmut über sein Verhalten. Denn „So ist er eben“ – „boys will be boys“.
– Cher wird von Elton, einem Freund aus ihrer Clique heimgefahren, den sie mit jemandem verkuppeln wollte. Nach einigen Missverständnissen ist klar, dass er daran kein Interesse hat und Sie selbst seine „Wahl“ ist.
Sie sitzt in seinem Wagen, er bedrängt sie mehrfach, ignoriert ihre körperliche und verbale Ablehnung, sie steigt aus, kurzer Wortwechsl, er fährt weg und lässt sie vor Ort (ihr unbekannte, weit vom eigenen Viertel entfernte, „gruselig“ gezeichnete Gegend). Dann bedroht sie ein Mann mit Waffe und erbeutet ihren Tascheninhalt.
Sie ruft ihren Stiefbruder an, der sie ritterlich rettet und trotz Date mit seinem Wagen abholt, wie es das Drehbuch verlangt. Beziehungsweise der sich so verhält, wie jeder sich verhalten sollte, wenn ihn jemand in der Lage anruft.
Puh. Wieso hat nie jemand, dass ich mich daran erinnern könnte, über diese Szene gesprochen? Wieso wurde das von der Realität genauso ignoriert, wie es im Film ignoriert wurde? Es gab keine Konsequenz für Elton – man sieht ihn im weiteren Verlauf des Films mit unterschiedlichen Mädchen im Hintergrund flirten. Und ich kann mir meinen Teil denken. Die Armen.
Aber warum? Wieso haben alle das gesehen, und keiner hat gesagt „Wow, ganz schön krasser Idiot “ Oder „Wow, sowas würd‘ ich mir nie gefallen lassen“? Einfach nichts. Weil das halt dazu gehört. Wie die Tipps, die man bekommt, wenn man die ersten Male ausgeht („Achte auf dein Getränk“, „Schrei Feuer nicht Hilfe“, „Den Schlüssel so zwischen die Finger nehmen, dass er eine Waffe ist“), gehört es dazu, dass man als weiblich wahrgenommener Mensch ungebetene „Angebote“ bekommt, die man ablehnt. Und das wird ignoriert. Und es eskaliert. Und in eigentlich fröhlichen Teeniefilmen kommt man davon, auch wegen der FSK und so. Und im echten Leben manchmal auch, und manchmal eben nicht. Und manchmal ist es wie im Film – die Typen machen ganz normal weiter und keiner sagt was.
Zumindest in diesem Aspekt ist Clueless sehr nah am Leben echter Teenager. Ein Übergriff eines guten Freundes gehört dazu, wie der Schulstress und die erste große Liebe.
