Erfolg, Human Design, Aliens, Kapitalismus – Koks und Sekten.

Ich habe eine Bekannte. Wir waren in einer Berufsschulklasse, eine Freundin von mir war immer sehr dicke mit ihr – wir hatten nicht so viel miteinander zu tun, irgendwie stimmte der Vibe nicht, aber das war nie schlimm. Sie hat lange im administrativen Bereich für Personalvermittlungsfirmen gearbeitet und sich dann mit Bewerbungscoachings selbstständig gemacht. Wir haben uns gegenseitig auf Instagram abonniert.

Ich habe sie immer als schlaue, recht thoughe, feminine und erwachsene Frau wahrgenommen und mich für sie gefreut, als sie über Instagram Ihre Karriere in die Selbstständigkeit informierte.

Es fing mit Bewerbercoachings an – schönere Mappen, schönere Fotos, besseres Selbstbewusstsein. Das war sympathisch, der Sprung vom Administrieren von Zeitarbeit zum Supporten von Bewerbern zu ihren Traumberufen ist ja eine sympathische Angelegenheit.

Dann bekam die Seite einen Facelift und die Inhalte wurden anders. Ich weiß gar nicht, wie ich es beschreiben soll – esoterischer? Therapeutischer? Wie eine Seite mit Memes für mehr Selbstbewusstsein. Irgendwie so. Es kamen mehr „Fachbegriffe“ – Worte, mit denen ich nur wenig anfangen konnte. Rauhnächte, Projektor, Healing-Sessions – mein Gehirn bastelte sich eine grobe Idee zusammen, was das sein könnte und hakte es unter spiritueller Selbstfindung ab.

Die klare und moderne Optik, die starken Begriffe ließen die Sache sachkundig, fundiert und professionell wirken. Die hübschen Kalendersprüche in den Posts passen zum derzeitigen Self-Care-Hustle-Culture-Trend. Sie verlinkte immer wieder glückliche Kundinnen, vor Erkenntnis weinende Kundinnen. Warum eigentlich nur Frauen?

Dieser „Finde die innere Leaderin“-Kram bewirkt ein automatisches Hochziehen meiner Augenbraue. Ich kann das nicht unterdrücken. So sehr ich mich als Feministin begreife und Blümchen vollkommen akzeptabel für beide Geschlechter als Bekleidungsdruck empfinde, so trete ich vielen Dingen, die speziell auf die „Stärke“ und dem „wahren Ich“ der Frauen fördernden Versprechungen mit großen Misstrauen entgegen – weil es oft misogyner, rückständiger Bockmist ist.

Frauen, die auf hübschen Kissen im Kreis sitzen, Karten mit tiefgehenden Weisheiten auf Holzdielenboden ziehen, sich von schlechten Erfahrungen erzählen, Yogaübungen machen, Kerzen anzünden, Käse essen und Rotwein trinken, sind mir einfach deutlich sympathischer, wenn Sie das ohne Label machen, nicht diese pseudo-therapeutisch-wichtige Begriffe nutzen und nicht über Tausend Euro dafür nehmen.

Und inwiefern helfen abgeschnittene und damit tote, in Massenproduktion und mit Pestiziden gewachsene unter sklavenartigen Bedingungen produzierte, im Raum verteilte Rosen dabei, mein wahres Ich zu finden?

Dann habe ich etwas über Human Design im Internet herumgesucht.

  • Geburtsdatum, -Ort und Zeit werden benötigt, dann kann das Wesen des Menschen analysiert und zugeordnet werden. Es gibt viele unterschiedliche Kategorien, mit Unterkategorien – die mal funktionieren, wie sie sollen oder nicht, man kann diese dann fördern/öffnen/aufarbeiten/erkennen.
  • Es gibt viele Coachings und wenig Infos über Human Design außerhalb der Menschen, die es anbieten, dort wird es meist als pseudo-wissenschaftliche Technik beschrieben, die Astrologie und östliche Techniken wie Mediation miteinander verbindet.
  • Der Mann, der das erfunden hat, hat sieben Tage lang eine Stimme gehört und dieser entsprechend das Human Design aufgeschrieben.
  • Human Design wird explizit in einem österreichischen Sektenbericht von 2005 erwähnt und ausführlich auf der Seite des Sektenbeauftragten der ökumenischen Sektenberatung genannt. Für weitere Infos einfach „Human Design Sekte“ in einer beliebigen Suchmaschine eingeben.
  • Wer etwas Zeit hat und einen ganz genauen Einblick bekommen will, kann sich auch eine Folge von Hoaxilla dazu anhören. Ich mag den Podcast nicht so gerne, aber die zwei sind (meiner Meinung nach) kompetent.

Robert Allen Krakower „Ra Uru Hu“ hat das Human Design entworfen, einige Seiten sprechen auch davon, dass der junge Kanadier an einem 3. Januar 1987 auf Ibiza einen anderen Bewusstseinszustand erreichte und dann sieben Tage lang, von einer Stimmte diktiert, die Grundlagen des Human Design aufschrieb.

Wow. Ich möchte nicht despektierlich klingen, aber mich erinnert das sehr an Aleister Crowley – einfach ein Mann der auf Drogen (Silvesterparty auf Ibiza hier, Kokstrip in der Wüste bei Crowley), der in einer mindestens leichten Drogenindizierte Psychose mystische Kalendersprüche und Inhaltsentleerte Begriffe aufschreibt, meist mit menschenfeindlich misogynem Unterton – und es dann als Erleuchtungserlebnis verklärt. Und, weil es noch nie etwas gab, was sich so gut angefühlt hat wie das, eine Religion, daraus zu macht. Oder zumindest Anhänger seiner Thesen sucht.

Grundsätzlich hege ich Zweifel an Theorien, die auf so beliebigen Angaben wie Geburtsort und -Zeit abhängen. Ich glaube für die Entfesselung meines wahren Selbst ist meine Biografie mit ihren Hinterlassenschaften an mir und meine Gehirnvernetzung wichtiger.

Ich bin so enttäuscht. Und ich mag schon gar nicht mehr darüber nachdenken, oder schreiben – je mehr ich weiß, desto weniger. Zu Beginn hatte ich Theorien: Sie hat vom reinen Bewerbercoaching gemerkt, dass sie mehr in die Life- und Persönlichkeits-Coach-Ecke gehen möchte, den Menschen mehr helfen mit ihrem Potential. Das Beste aus Esoterik und therapeutischen Coaching-Ansätzen zusammenbauen, damit für jeden was dabei ist. Aber so ist es nicht. Es wieder Verarschung, ganz einfach. Wegen Knete. Wo ich Talent, und Kraft und Potential gesehen habe, ist alles für ein Wohlfühlleben und Geld verraten worden.

Und es kann gefährlich werden, wenn wirklich Leute, die eine fachkundige Therapie oder Unterstützung brauchen, dort hinein geraten.

Sie ist in einer Blase gefangen, die sich erstmal gut anfühlt, weil sie Bestätigung und viel Geld bekommt. Für was? Ob es die erfolgreiche Designerin, die erfolgreiche Fotografin, die erfolgreiche Sonst-Was ist – am Ende verkaufen sie ihr Talent, ihre Ideale – weil sich mit Titten und/oder Lügen (ob als Entertainment in Social Media, im Multi-Level-Marketing oder als Coaching) einfach mehr Geld einfacher verdienen lässt. Ist das echt alles, was uns bleibt?

Sport ist Mord – von Idealen, Moral, Geld, Gesundheit und Wohlbefinden.

Ich habe noch nie einen Zugang zu sportlichen Betätigungen gehabt. Das Gefühl völlig verschwitzt, erschöpft und zufrieden nach Bewegung zu sein ist mir zwar nicht fremd, aber für dieses High-Gefühl, von dem so begeistert gesprochen wird, haben der Sport oder meine chemischen Botenstoffe im Gehirn nie gereicht.

Den Sinn hinter einer sich im Rahmen bewegenden Fitness hat sich mir zwar erschlossen, aber ich bin da einfach nicht so der Typ. Ich war auch nie ein großer Freund von der Übertragung sportlicher Events – klar habe ich ein paar Super Bowls, Fußballweltmeisterschaften, Basketballspiele, Kickboxen, Polo oder Eishockey gesehen und kann mich meist begeistern und mitfiebern, wenn es von mir erwartet wird, aber das Herz war nie richtig dabei. Vielleicht fällt es mir deswegen leichter, die Dinge so zu sehen.

Wie zu sehen? Kommerzieller Leistungssport ist Mist. Wer über Influencer, Rockstars mit Playback und Prostituierte eine Meinung hat (keine gute), der sollte sich auch von organisiertem Sport fernhalten. Aber warum?
Wo soll ich anfangen?

Wir haben einen Stand im Leistungssport erreicht, der so weit von einem normalen Leben entfernt ist, so künstlich und unnatürlich geworden ist, dass man es mit wachen Augen komm noch ertragen kann.

Derzeit erleben wir, wie global und disziplinenübergreifend Männer und Frauen von strukturellem, körperlichen und sexuellen, Missbrauch berichten. Pferde im Renn- und Dressursport sterben reihenweise viel zu jung und plötzlich, Weidehaltung ist bei Hochleistungspferden nicht üblich. Rennhunde werden saisonal entsorgt. Footballer zerstören ihre Gehirne nachweislich und unwiederbringlich, bevor sie sich oder ihre Familien töten. Wie Sportlerinnen Strafen zahlen, weil sie nicht in Bikinimode Wettkämpfe bestreiten möchten. Wie Sportlerinnen von Wettkämpfen ausgeschlossen werden, weil ihre Frisuren nicht feminin genug sind.

Der Missbrauch im Sport hat eine lange Tradition – Prostitution von Ballerinas ist da nicht das einzige, aber schon recht widerlich und gut dokumentiert (Ich habe lange überlegt, Referenzen für all diese „Behauptungen einzufügen – aber es wären einfach zu viele. Und mit der üblichen Suche mit, im Zweifel englischen, Schlagworten wird sich jeder Internetnutzer schnell ein Bild verschaffen können).

Der professionelle Fußball ist ein völlig entfesselter Markt, indem nicht nur Gehälter und Transferzahlungen, sondern auch Ticketpreise und Bedingungen für die Spiele (Katar, Brasilien) jede sinnvolle und moralische Grenze überschreiten.

Trotzdem die Arbeitsbedingungen seit Jahrzehnten bekannt sind, werden offizielle Merchandise Artikel von Sportvereinen, -Events und -Verbänden noch immer unter schlechtesten Umständen für Umwelt und Arbeiter produziert.

Es darf auch nicht vergessen werden, dass hochdotierte Sportarten wie Fußball in Deutschland oder Football in den USA losgelöst von anderen Sportarten zu betrachten, in denen die Zuschauerzahlen und geflossene Gelder deutlich geringer sind. Wie kann es sein, dass ein Olympiateilnehmer sein Training einschränken muss, um einem regulären Job zu machen, damit er sich dieses teure Hobbie namens Training leisten kann?

Der menschliche Körper kann mit Hilfe der Wissenschaft und Fortschritten in Lauftechnik, Schuhdesign, Ernährung und mentale Stärke viel erreichen, doch es gibt natürliche Grenzen, die einfach irgendwann erreicht sind. Auch das Erkennen von Grenzen gehört zu Fortschritt und Wissenschaft – an einem gewissen Punkt, ist ein Weltrekord nicht mehr zu brechen. Doch in dem man bereits junge Menschen, Kinder, täglich trainiert, richtig ernährt, von Schädlichem abhält und mit Pharmaprodukten im Grenzbereich der Legalität „unterstützt“ können diese Kinder eine große Karriere haben – bis sie 20, höchstens 30 sind – je nach Sportart. Um dann mit kaputten Knien, Füßen und Psychen in Baumärkten Autogrammkarten unterschreiben.

Und weil ich das alles einfach nicht ausblenden kann, fällt es mir mittlerweile schwer, Profi-Sport wirklich zu genießen.

Clueless (Film 1995) Review – Komödie mit Beigeschmack, Moral und einem sexuellen Übergriff

Vor Kurzem habe ich nach vielen, vielen Jahren wieder den Klassiker „Clueless“ gesehen. Auch um meinem popkulturellem Bildungsauftrag meinem Partner gegenüber nachzukommen, an dem dieses Meisterwerk vorbei gegangen ist.

Wer den Film nicht kennt, sollte ihn sehen. Die Zusammenfassung bei den gängigen Online-Nachschlagewerken ist unterkühlt und kann den Zauber kaum wiedergeben. Auch um den Ursprung unzähliger, sich auf den Film beziehender Referenzen in der Pop-Kultur zu kennen und die junge Starbesetzung zu Karrierebeginn zu sehen, kann man sich den Film mal gönnen.

Vieles sieht man nach etwas Zeit und der Zunahme an persönlicher Weisheit (hoffentlich) anders. Ich war überrascht, wie progressiv dieser Film von 1995 auf mich wirkte. Und auch ein wenig, wie lange Probleme so bekannt sind, dass sie in „stumpfen Teeniekomödien“ thematisiert werden – und man sich fast 30 Jahre später (fast) auf der gleichen Stufe in der Debatte befindet.

Die Protagonistin hat schlechte Noten und entscheidet sich, neben Zusatzarbeiten, zwei Lehrkräfte zu verkuppeln. Durch die verbesserte Laune der Zwei soll auch die Bewertung positiver ausfallen. Was für eine menschenfreundliche Idee! Statt, wie oft cineastisch verarbeitet läuft sie nicht Amok, bedroht Lehrkräfte, versinkt in Hoffnungslosigkeit – sie erkennt, dass Menschen, Autoritäten, manchmal einen Mangel erfahren, der sie negativ beeinflusst, ihren Umgang mit Menschen, das Erfüllen von Aufgaben. Und dass Wertschätzung durch andere Menschen, die Liebe einer Beziehung, das Gefühl begehrt und gemocht zu werden auch es auch für „uncoole“ Erwachsene wichtig ist, das mehr hinter schlecht gelaunten Menschen steckt und man Abhilfe schaffen kann. Das ist eine ausgesprochen positive, liebevolle Botschaft.

Der „uncoole“ große Stiefbruder ist am Ende der Love Interest.  So sehr die Rolle so angelegt ist, dass der Zuschauer ihn sofort als intellektuellen, sympathischen Charakter einordnen soll (auch durch die Besetzung von Paul Rudd) – so klar macht die Protagonistin wie uncool und weit entfernt er von ihr ist. Und trotzdem finden sie sich – er sie, weil warmherzig, gutaussehend und ehrgeizig, fleißig – und sie ihn, weil er souverän, intelligent und stets ritterlich ihr gegenüber ist. Natürlich sind auch hier Klischees verarbeitet und alles nicht unproblematisch – doch das ist einen eigenen Text wert. Und im Großen und Ganzen wirkt diese Love Story ganz okay – kein hässliches Entlein, dass sich verwandelt, kein völliges Verraten der eigenen Identität sondern Annäherung durch Kennenlernen, Vorurteile abbauen, annähern – hier gibt es klare Überlegenheit gegenüber anderen, ähnlichen Filmschöpfungen.

Ein hässliches Entlein gibt es allerdings im Film – mit dem gut gemeinten „Make-Over“ verbessert sich der soziale Status des Mädchens, verschlechtert sich aber gleichzeitig die Beziehung, der Charakter wird negativ gezeichnet. Schließlich wird alles wieder gut, das Entlein ist wieder authentisch, aber selbstischerer und kommt mit ihrem Love Interest des Beginns zusammen, der als perfekter Partner für sie geschrieben wurde. Nicht neu, aber die Moral der Geschichte kann auch positiv bewertet werden.

Weitere positiv hervorzuhebende Punkte:

  • Als sich Cher für Menschen einer Naturkatastrophe engagieren will, spendet sie auch ihre Skier. Der Vater kommentiert dies, sie antwortet sinngemäß „aber Daddy, diese Menschen haben ALLES verloren“. Ja. Das haben sie. Und auch wenn Skier sicher nicht das erste sind, was man in dieser Notsituation braucht, finde ich es sinnvoll, dass man Dinge, die man nicht mehr braucht, an Menschen weitergibt, die sie brauchen können. Und die ihr Geld erstmal für andere Dinge ausgeben müssen, um sich wieder ein Zuhause aufzubauen.
  • Sie erkennt die harte Arbeit ihres Vaters, ihres Stiefbruders usw. an und unterstützt sie soweit möglich, freudig und eifrig.
  • Sie schämt sich für Fehler und versucht, sie wieder gut zu machen
  • Homosexualität kommt etwas verklausuliert und extrem Klischeebeladen vor, aber nicht immerhin kommts vor und wird nicht allzu negativ dargestellt (die lesbische, grobe Sportlehrerin)

Mit feministisch linksversifftem Blick auf den Film gibt’s (neben der mangelnden Konsumkritik, die ich dramaturgisch / künstlerisch durchgehen lasse) zwei problematische Bilder: Die Beziehung zwischen der besten Freundin der Protagonistin, Dionne, und ihrem Freund Murray und der Heimfahrts-Szene nach einer Party.

– Murray ist ein klassischer „Frauenheld“, flirtet viel, geht fremd. Als Dionne ihm mitteilt, dass sie nicht mehr „Weib“ von ihm genannt werden möchte, weil sie das abwertend findet, erklärt (mans-plained) er, dass das was Kulturelles sei und er damit weiter macht. In einer anderen Szene erzählt sie ihren Freundinnen, dass er „alles bekommt“ aber sie „technisch noch Jungfrau“ ist, weil ihr das wichtig sei. Ansonsten wird Dionne als meinungsstarke, selbstbewusste junge Frau dargestellt. Für ihn gibt es keine erkennbaren Einschränkungen/Umstellungen, die er für die Beziehung eingeht. Sein Verhalten wird nur von Dionne thematisiert.

Wow. Meine Kurzinterpretation: Selbst das toughste Mädchen lässt sich von ihrem Partner verbale Beleidigung gefallen, überschreitet persönliche Grenzen und baut Ausreden und Rechtfertigungen für Ihren Partner zurecht, versucht um fast jeden Preis ihren Partner sexuell zu befriedigen, damit er bei ihr bleibt. Und sie ist damit allein – niemand unterstützt sie, äußert ebenfalls Unmut über sein Verhalten. Denn „So ist er eben“ –  „boys will be boys“.

– Cher wird von Elton, einem Freund aus ihrer Clique heimgefahren, den sie mit jemandem verkuppeln wollte. Nach einigen Missverständnissen ist klar, dass er daran kein Interesse hat und Sie selbst seine „Wahl“ ist.

Sie sitzt in seinem Wagen, er bedrängt sie mehrfach, ignoriert ihre körperliche und verbale Ablehnung, sie steigt aus, kurzer Wortwechsl, er fährt weg und lässt sie vor Ort (ihr unbekannte, weit vom eigenen Viertel entfernte, „gruselig“ gezeichnete Gegend). Dann bedroht sie ein Mann mit Waffe und erbeutet ihren Tascheninhalt.

Sie ruft ihren Stiefbruder an, der sie ritterlich rettet und trotz Date mit seinem Wagen abholt, wie es das Drehbuch verlangt. Beziehungsweise der sich so verhält, wie jeder sich verhalten sollte, wenn ihn jemand in der Lage anruft.

Puh. Wieso hat nie jemand, dass ich mich daran erinnern könnte, über diese Szene gesprochen? Wieso wurde das von der Realität genauso ignoriert, wie es im Film ignoriert wurde? Es gab keine Konsequenz für Elton  – man sieht ihn im weiteren Verlauf des Films mit unterschiedlichen Mädchen im Hintergrund flirten. Und ich kann mir meinen Teil denken. Die Armen.

Aber warum? Wieso haben alle das gesehen, und keiner hat gesagt „Wow, ganz schön krasser Idiot “ Oder „Wow, sowas würd‘ ich mir nie gefallen lassen“? Einfach nichts. Weil das halt dazu gehört. Wie die Tipps, die man bekommt, wenn man die ersten Male ausgeht („Achte auf dein Getränk“, „Schrei Feuer nicht Hilfe“, „Den Schlüssel so zwischen die Finger nehmen, dass er eine Waffe ist“), gehört es dazu, dass man als weiblich wahrgenommener Mensch ungebetene „Angebote“ bekommt, die man ablehnt. Und das wird ignoriert. Und es eskaliert. Und in eigentlich fröhlichen Teeniefilmen kommt man davon, auch wegen der FSK und so. Und im echten Leben manchmal auch, und manchmal eben nicht. Und manchmal ist es wie im Film – die Typen machen ganz normal weiter und keiner sagt was.

Zumindest in diesem Aspekt ist Clueless sehr nah am Leben echter Teenager. Ein Übergriff eines guten Freundes gehört dazu, wie der Schulstress und die erste große Liebe.

Cancel your Idols – Anti- Antichrist – Vorteile analoger Tonträger

Der Begriff „Cancel“ (-culture) wird, finde ich, mit unnötig viel Emotion aufgeladen. Man entscheidet sich einfach, nach in-Betracht-Ziehen aller vorliegenden Daten, gegen etwas. Dieser Entscheidungsprozess findet viele Male während des Supermarkteinkaufs statt – weswegen wird ein neues Wort gebraucht und die Debatte anders geführt, wenn es nicht die Wahl zwischen Brotsorten sondern Künstlern betrifft?

Ich war ein klassisches Fan-Girl von Marilyn Manson. Tatsächlich war es die einzige Band, von der ich alles an Informationen, Fotos und Videos verschlang. Poster, T-Shirts, Bücher, Masturbationsfantasien und die Alben auf Dauerschleife – alles, wie man es von den Backstreet-Boy-Fans kennt, nur in schwarzen Klamotten und ohne Kreischen.

Dieses Konstrukt hat mir damals sehr viel geben können. Diese Musik war für mich die erste, die die Überforderung und die Wut auf die Welt artikulieren konnte. Mit dem Beginn der Pubertät wurde klar, dass Disney eine Lüge war, und Marilyn Manson übersetzte mein zunehmendes Entsetzen in flotte Rockmusik mit ansprechender künstlerischer Ästhetik. Ich fühlte mich verstanden und gut aufgehoben bei diesen ungewöhnlich gekleideten Männern und gehe so weit zu sagen, dass es einen positiven Einfluss auf mich hatte.

Heute schwer vorstellbar, aber damals war das Image der USA bei mir, als junge Deutsche, noch deutlich positiver und von dem „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“- Singsang geprägt. Dass fünf, relativ junge, US-Amerikaner dieses perfekte Bild zum Kotzen fanden und nach einem Platz für Kritik und sich selbst fragten, fand ich beeindruckend und nun verständlich. Also begleiteten mich die Songs von meinem 12. Lebensjahr an. Liebeskummer, Egotrips, Weltschmerz, die 5 in Mathe – immer waren sie für mich da und luden zum Träumen, Stark-Sein oder ins Kissen-Weinen ein.

Mit dem Alter verlor sich das „Fan-Girl“, neue Bands kamen hinzu, das Leben ging weiter. Und ab und zu, wie der Griff zum Lieblingsbuch, zum ausgefranzten Lieblingsshirt, dem Heißhunger auf ein Gericht aus der Kindheit, hörte ich in die alten und neuen Sachen rein und las hier und da eine Überschrift oder einen Artikel zur neusten Tour oder dem Wechsel von Mitgliedern. Mit weniger emotionalem Engagement, aber mit dem liebevollen Blick, den man hat, wenn man auf Besuch im Heimatdorf sieht, dass das Schaufenster beim Bäcker immer noch, seit 30 Jahren, gleich aussieht. Mit einem kleinen, warmen Gefühl der Vertrautheit im Bauch.

So hätte es bleiben können. Aber dabei blieb es nicht. Auch wenn man nicht mehr „so im Thema war“, irgendwann stolperte ich über die Artikel. Suchte mehr davon. Und entschied mich, Marilyn Manson zu canceln. Die vielleicht längste Liebesbeziehung meines Lebens. Mein Zuhause, mein Zufluchtsort seit fast 20 Jahren sah plötzlich ganz anders aus, war klebrig und ganz anders düster, als ich es gewohnt war.

Das war eine gute Übung. Ein Teil von mir saß an der Seite, mit einem kleinen Notizblock, notierte mein Verhalten und lieferte gelegentlich Einwürfe und Verweise auf schlaue Dinge, während ich versuchte, sachlich und erwachsen mit der Situation umzugehen.

Brian Warner ist mehr als „nur“ der Frontmann einer Band namens Marilyn Manson – das Konzept und die Marke sind, für mich, viel mehr mit seiner Person verknüpft als mit dem Konstrukt „Musikgruppe“ – anders, als es bei zum Beispiel bei Blink-182 der Fall ist, die immer mehr als Band wahrnehmbar waren. Damit möchte ich nicht den musikalischen Einfluss der Bandmitglieder kleinreden, sondern die Kunstfigur und Marke betonen, die bei Marilyn Manson größer und präsenter sind.

Marilyn Manson hat mit Mitte Dreißig Minderjährige kontaktiert, belästigt („grooming“) und misshandelt. Er hat (grade volljährige) Frauen misshandelt. Mehrere.

Ich wähle den Terminus „Misshandelt“ weil ich mich nicht in Details verlieren will. Ob er sie nun eingesperrt, mit Schlafentzug gequält, mit Gegenständen beworfen, unter Drogen gesetzt, sexuell missbraucht hat, wie oft und in welcher Reihenfolge ist am Ende nicht erheblich. Dass er eine Minderjährige zum Zweck einer Beziehung kontaktiert hat, sehe ich als erwiesen. Ich habe kein Interesse an Diskussionen, ob jedes Detail denn so richtig sei. Für mich sind die Aussagen glaubwürdig – Inhalt, Übereinstimmung, Menge – eine Welt brach für mich zusammen.

So oft habe ich Marilyn Manson in meiner Jugend vor „Erwachsenen“ gerechtfertigt, seine Kunst erklärt. Und nun sitze ich mit Anfang 30 vor dem Laptop und finde nichts, was ich dazu sagen könnte. Das ist erleichternd. In der Selbstreflektion heißt das, ich gehöre nicht zu den Menschen, die alles, was sie gut finden, um jeden Preis verteidigen. Aber was mache ich nun?

Ich versuch mich schlau zu machen. Kunstwerk von Künstler trennen. Fühlst du Picassos Bilder nicht trotz allem? Sind Gandhis Errungenschaften nicht trotzdem wichtig?

Ich höre mich durch die Alben. Die Beziehung, die Bilder, das Gefühl zu einigen Liedern scheint in Stein gemeißelt, der bröckelt. Das vom Helden enttäuschte Kind in mir ist unzufrieden. Es bombardiert mich mit anderen Entscheidungen – du findest Nestlé scheiße und kaufst kein Flaschenwasser, aber hörst Musik von einem gewalttätigen Misshandler? Das hat er geschrieben, während er Frauen gefoltert hat.

Wie eklig. Ein Gefühl, was Manson musikalisch für mich immer wie kein Zweiter vermitteln konnte, war dieses bis zur Wut verzweifelte Sehnen in der Stimme, wie ein kriechendes, sich mit Fingernägeln an den Bodendielen vorziehendes Gefühl (Musiktipp: „I  put a spell on you“ Cover).

Ich kann es nicht mehr hören. Während ich schreibe, habe ich es versucht. Ich kann es nicht mehr. Es ist widerlich. Vor allem die Songs mit Liebe und Verlust und sowas. Die Bedeutung ist im Licht meines neuen Wissens völlig verändert. Ich habe mich offensichtlich total getäuscht. Der Inhalt, den ich dem Lied gegeben habe, war mein eigener. Ich wurde nicht verstanden. Ich habe ihn missverstanden.

Das fühlt sich ganz schön scheiße an. Kurt Cobain ist tot, aber dafür kann der auch keine Frauen mehr vergewaltigen. Da ist man aus Fan-Sicht auf der sichereren Seite.

Was kann ich also tun, als Mensch, der möglichst vernünftig sein möchte?

Ich habe meinem näheren Umfeld davon erzählt. Ich möchte da, wo es für mich machbar ist, bewusste Konsum-Entscheidungen treffen. Und keinen Scheiß-Mini-Cent an jemand geben, der Dinge tut, die ich missbillige, wo es sich einrichten lässt. Nach und nach habe ich alle Manson-Songs aus meinem Musik-Streaming entfernt. Die alten Alben habe ich tatsächlich als CD – meine Bezahlung an beteiligte Künstler/ Bandkollegen für die tolle Musik wurde geleistet. Ich muss und möchte nicht weiterhin, und seien es nur lächerliche Beträge, Geld an einen Mann geben, der Beziehungen mit Kindern anbahnt.

Noch immer, wer weiß, wie lange noch, fühle ich mich bereit, über den Einfluss von Marilyn Manson auf die damalige Popkultur zu diskutieren und dort sein Werk und Beitrag zum Diskurs wohlwollend einzuordnen. In diesem Punkt bin ich bereit, Kunstwerk und Künstler zu trennen, da ich mich auf die, zu der Zeit vorliegenden Fakten stützen kann. Aber so, wie ich mich entscheiden kann, ob ich bei einem Großkonzern oder dem Laden um die Ecke Pizza bestelle, kann ich entscheiden, keine Musik von Männern zu hören, die Frauen misshandeln.

Wenn ich einen, für mich so wichtigen und raumgreifenden Teil in meinem Leben „canceln“ kann, frage ich mich, weswegen es Anderen bei geringeren Einsätzen so viel schwerer fällt.

Mein Tipp fürs Gewissen: Musik gecancelter Künstler*Innen einfach auf dem Flohmarkt oder im Second-Hand-Plattenladen kaufen (wenn man die Musik noch hören will und kann), dann gibt’s zumindest keinen Beitrag bei Abo- und Klickzahlen.