Ich habe eine Bekannte. Wir waren in einer Berufsschulklasse, eine Freundin von mir war immer sehr dicke mit ihr – wir hatten nicht so viel miteinander zu tun, irgendwie stimmte der Vibe nicht, aber das war nie schlimm. Sie hat lange im administrativen Bereich für Personalvermittlungsfirmen gearbeitet und sich dann mit Bewerbungscoachings selbstständig gemacht. Wir haben uns gegenseitig auf Instagram abonniert.
Ich habe sie immer als schlaue, recht thoughe, feminine und erwachsene Frau wahrgenommen und mich für sie gefreut, als sie über Instagram Ihre Karriere in die Selbstständigkeit informierte.
Es fing mit Bewerbercoachings an – schönere Mappen, schönere Fotos, besseres Selbstbewusstsein. Das war sympathisch, der Sprung vom Administrieren von Zeitarbeit zum Supporten von Bewerbern zu ihren Traumberufen ist ja eine sympathische Angelegenheit.
Dann bekam die Seite einen Facelift und die Inhalte wurden anders. Ich weiß gar nicht, wie ich es beschreiben soll – esoterischer? Therapeutischer? Wie eine Seite mit Memes für mehr Selbstbewusstsein. Irgendwie so. Es kamen mehr „Fachbegriffe“ – Worte, mit denen ich nur wenig anfangen konnte. Rauhnächte, Projektor, Healing-Sessions – mein Gehirn bastelte sich eine grobe Idee zusammen, was das sein könnte und hakte es unter spiritueller Selbstfindung ab.
Die klare und moderne Optik, die starken Begriffe ließen die Sache sachkundig, fundiert und professionell wirken. Die hübschen Kalendersprüche in den Posts passen zum derzeitigen Self-Care-Hustle-Culture-Trend. Sie verlinkte immer wieder glückliche Kundinnen, vor Erkenntnis weinende Kundinnen. Warum eigentlich nur Frauen?
Dieser „Finde die innere Leaderin“-Kram bewirkt ein automatisches Hochziehen meiner Augenbraue. Ich kann das nicht unterdrücken. So sehr ich mich als Feministin begreife und Blümchen vollkommen akzeptabel für beide Geschlechter als Bekleidungsdruck empfinde, so trete ich vielen Dingen, die speziell auf die „Stärke“ und dem „wahren Ich“ der Frauen fördernden Versprechungen mit großen Misstrauen entgegen – weil es oft misogyner, rückständiger Bockmist ist.
Frauen, die auf hübschen Kissen im Kreis sitzen, Karten mit tiefgehenden Weisheiten auf Holzdielenboden ziehen, sich von schlechten Erfahrungen erzählen, Yogaübungen machen, Kerzen anzünden, Käse essen und Rotwein trinken, sind mir einfach deutlich sympathischer, wenn Sie das ohne Label machen, nicht diese pseudo-therapeutisch-wichtige Begriffe nutzen und nicht über Tausend Euro dafür nehmen.
Und inwiefern helfen abgeschnittene und damit tote, in Massenproduktion und mit Pestiziden gewachsene unter sklavenartigen Bedingungen produzierte, im Raum verteilte Rosen dabei, mein wahres Ich zu finden?
Dann habe ich etwas über Human Design im Internet herumgesucht.
- Geburtsdatum, -Ort und Zeit werden benötigt, dann kann das Wesen des Menschen analysiert und zugeordnet werden. Es gibt viele unterschiedliche Kategorien, mit Unterkategorien – die mal funktionieren, wie sie sollen oder nicht, man kann diese dann fördern/öffnen/aufarbeiten/erkennen.
- Es gibt viele Coachings und wenig Infos über Human Design außerhalb der Menschen, die es anbieten, dort wird es meist als pseudo-wissenschaftliche Technik beschrieben, die Astrologie und östliche Techniken wie Mediation miteinander verbindet.
- Der Mann, der das erfunden hat, hat sieben Tage lang eine Stimme gehört und dieser entsprechend das Human Design aufgeschrieben.
- Human Design wird explizit in einem österreichischen Sektenbericht von 2005 erwähnt und ausführlich auf der Seite des Sektenbeauftragten der ökumenischen Sektenberatung genannt. Für weitere Infos einfach „Human Design Sekte“ in einer beliebigen Suchmaschine eingeben.
- Wer etwas Zeit hat und einen ganz genauen Einblick bekommen will, kann sich auch eine Folge von Hoaxilla dazu anhören. Ich mag den Podcast nicht so gerne, aber die zwei sind (meiner Meinung nach) kompetent.
Robert Allen Krakower „Ra Uru Hu“ hat das Human Design entworfen, einige Seiten sprechen auch davon, dass der junge Kanadier an einem 3. Januar 1987 auf Ibiza einen anderen Bewusstseinszustand erreichte und dann sieben Tage lang, von einer Stimmte diktiert, die Grundlagen des Human Design aufschrieb.
Wow. Ich möchte nicht despektierlich klingen, aber mich erinnert das sehr an Aleister Crowley – einfach ein Mann der auf Drogen (Silvesterparty auf Ibiza hier, Kokstrip in der Wüste bei Crowley), der in einer mindestens leichten Drogenindizierte Psychose mystische Kalendersprüche und Inhaltsentleerte Begriffe aufschreibt, meist mit menschenfeindlich misogynem Unterton – und es dann als Erleuchtungserlebnis verklärt. Und, weil es noch nie etwas gab, was sich so gut angefühlt hat wie das, eine Religion, daraus zu macht. Oder zumindest Anhänger seiner Thesen sucht.
Grundsätzlich hege ich Zweifel an Theorien, die auf so beliebigen Angaben wie Geburtsort und -Zeit abhängen. Ich glaube für die Entfesselung meines wahren Selbst ist meine Biografie mit ihren Hinterlassenschaften an mir und meine Gehirnvernetzung wichtiger.
Ich bin so enttäuscht. Und ich mag schon gar nicht mehr darüber nachdenken, oder schreiben – je mehr ich weiß, desto weniger. Zu Beginn hatte ich Theorien: Sie hat vom reinen Bewerbercoaching gemerkt, dass sie mehr in die Life- und Persönlichkeits-Coach-Ecke gehen möchte, den Menschen mehr helfen mit ihrem Potential. Das Beste aus Esoterik und therapeutischen Coaching-Ansätzen zusammenbauen, damit für jeden was dabei ist. Aber so ist es nicht. Es wieder Verarschung, ganz einfach. Wegen Knete. Wo ich Talent, und Kraft und Potential gesehen habe, ist alles für ein Wohlfühlleben und Geld verraten worden.
Und es kann gefährlich werden, wenn wirklich Leute, die eine fachkundige Therapie oder Unterstützung brauchen, dort hinein geraten.
Sie ist in einer Blase gefangen, die sich erstmal gut anfühlt, weil sie Bestätigung und viel Geld bekommt. Für was? Ob es die erfolgreiche Designerin, die erfolgreiche Fotografin, die erfolgreiche Sonst-Was ist – am Ende verkaufen sie ihr Talent, ihre Ideale – weil sich mit Titten und/oder Lügen (ob als Entertainment in Social Media, im Multi-Level-Marketing oder als Coaching) einfach mehr Geld einfacher verdienen lässt. Ist das echt alles, was uns bleibt?
