Ein Mann ist schizophren – eine der schlimmsten Krankheiten, wie ich finde. Gefangen in einem echten, nie endenden Albtraum.
Ein Mann ist schizophren. Er lebt in einem Land, dass es seit Jahrzehnten eigentlich nicht mehr gibt. Er schafft es mit Anfang, Mitte 20 nach Deutschland – und tötet, unbehandelt, im Wahn, einen anderen Menschen. Dafür kann er nicht zu Verantwortung gezogen werden, bestraft werden, weil er wahnhaft, eindeutig medizinisch schwerstkrank ist. Das war 2018 – und nun 2023, wird er nach Somalia abgeschoben.
Meine Wut, meine Fassungslosigkeit lassen sich nur schwer in Worte fassen.
Die durchschnittliche Lebenserwartung für Männer liegt bei 53,2 Jahren. Zum Tatzeitpunkt war der Mann 26. Es ist eins der korruptesten, ärmsten, gefährlichsten Länder der Welt. Erst seit 2010 gibt es wieder einige, unsichere statistischen Daten, davor – als ich meine Semesterarbeit im Studium über Somalia schrieb, gab es so gut wie keine verlässlichen, vollständigen Daten, weil dieses Land seit Jahrzehnten quasi nicht existent ist, schon vor dem Bürgerkrieg 1991 war die Lage katastrophal. Laut dem statistischen Bundesamt gibt es 0,0 Ärzte pro 1.000 Einwohner. Es gibt 0,9 Krankenhausbetten auf 1.000 Einwohner. Bei den allgemeinen Zuständen und der Anzahl der Ärzte können wir uns vorstellen, wie die Versorgung in diesem Krankenbett sein muss, wenn man es denn erhält. Laut dem Internationalen Büro (gehört zum Bundesministerium für Bildung und Forschung) ist durch die massive Gewalt, Vertreibungen und Naturkatastrophen die Rate psychiatrischer Erkrankungen „ungewöhnlich hoch“.
Psychische Krankheiten sind stark stigmatisiert, Patienten werden in Ketten gelegt und inhaftiert. Es gibt keine Richtlinien, Gesetze oder Hilfen zum Schutz der Betroffenen.
Und nun wird dieser Mann schwerkranke, traumatisierte Mann nach Somalia abgeschoben. Es ist mir egal, ob er einen Arzt oder einen Müllmann umgebracht hat, ob es 1 oder 30 Messerstiche waren. Ob er einen Stück Seife geklaut oder eine vollbesetzte Schule angezündet hat. Dieser Mensch ist eindeutig medizinisch in einer schlimmen, chronischen Notlage. Und weil uns dieser eine Mensch etwas zu viel Kosten in unseren schlecht aufgestellten Gesundheitssystem verursacht, weil er „keiner von uns“ (Weißen) ist, lagern wir jetzt seine Folter und Tötung aus. Ich bin so angewidert. Deutschland, alle Verantwortlichen in Freiburg und Offenburg liefern diesen Mann in die Hölle auf Erden.
Das Auswärtige Amt schreibt: Es kann es jederzeit zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kommen, Nahrungsmittelsicherheit gibt es nicht, im gesamten Land wird vor Landminen gewarnt. Bewaffnete Überfälle, Autoraub, sexueller Missbrauch und Morden kommen häufig vor. Die Todesstrafe wird sowohl verhängt als auch vollstreckt. HIV ist ein großes Problem, es wird vor Malaria, Dengue-Fieber, Cholera und Gelbfieber gewarnt. Alles nicht Heterosexuelle kann mit der Todesstrafe geahndet werden. Taifune, Erdrutsche und Überschwemmungen, mit denen nur 6 Monate pro Jahr gerechnet werden muss, klingen da gar nicht mehr so gruselig.
Abu Ghraib war uncool, und die Arbeitslager in China finden auch alle ganz schlimm. Aber einen kranken Menschen wegen seiner Krankheit nach Somalia „abzuschieben“ ist noch viel schlimmer – denn ihr seid dafür verantwortlich. Ihr liefert einen Menschen an einen Ort, an dem er gefoltert und getötet wird (und noch mehr, aber die Liste wäre zu lang). Wir können nicht die ganze Welt retten, das stimmt. So schön es auch wäre. Aber diesen einen, unschuldigen Menschen, der einfach „nur“ krank ist – den könntet ihr retten. Und ihr entscheidet euch nicht nur, ihm nicht zu helfen, ihr schickt ihn in die Hölle, damit es schneller geht und ihr euch nicht die Hände schmutzig macht. Ihr widert mich an.
